Mit Flüchtlingen Schule neu denken – Bilder einer Veranstaltung

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Die Moderatorin bat alle Menschen, deren Familien Fluchterfahrungen hatten, aufzustehen. Mindestens die Hälfte der ca. 200 Besucher erhoben sich daraufhin.Die Deutsche Schulakademie lud letzte Woche zu einem Forum ein, um über den Ist-Zustand und über die Perspektiven für Kinder und Jugendliche in deutschen Schulen zu sprechen. Das waren zwei intensive und emotionale Tage voller neuer Begegnungen, Erkenntnisse und Ideen.

Die Veranstaltung am 30. November und 01. Dezember 2015 hieß nicht zufällig „Forum“. Uns erwarteten keine vorgegebenen Themen und Arbeitsrunden. Stattdessen kam die Aufforderung, unsere eigenen Anliegen zum Ausdruck zu bringen. Open Space also. Jeder, der schon Mal „Open Space“ erlebt hat, weiß, dass diese Moderationsmethode für große Formate durchaus einige Risiken mitsichbringt:

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Sind die Teilnehmer bereit, für zwei Tage die Verantwortung für das Programm zu tragen?
  • Bietet das Meta-Thema genug Raum für kontrastreiche Diskussionen?

Dieses Risiko einzugehen, hat sich für die Forum-Veranstalter gelohnt. Aus der breiten Auswahl an Diskussionsrunden habe ich einige mitverfolgt und ein Gespräch zum Thema „Nutzung der digitalen Medien für den Austausch und Unterricht“ vorgeschlagen.

Umgang mit ethischen und politischen Konflikten

Das Problem: Kinder und Jugendliche aus Flüchtlingsfamilien bringen die ethischen und politischen Konflikte aus ihrer Heimat und von Zuhause mit in die Schule. In den Übergangsklassen in Deutschland treffen verschiedene Kulturen aufeinander: christliche Kurden, muslimische Syrier, Türken, Kosovo-Albaner, Sinti und Roma vom Balkan usw. Das Leben in deren Herkunftsländern ist von Misstrauen und Konflikten miteinander geprägt. Wie sollen die Schulen und Pädagogen damit umgehen, was kann die Schule dazu leisten, damit das Miteinander gelingt?

Diskutierte Lösungen

  • Verstärkte personelle Unterstützung für Schulen: Sportangebot, Theater AGs, Sozialpädagogen, die
den Zusammenhalt in der Klasse und Schule aufbauen.

  • Enge Zusammenarbeit mit den Eltern
  • Klare und von der Schulgemeinschaft entwickelte und unterschriebene Regeln
  • Nach vorne schauen, Kindern und Jugendlichen klare Ziele für die Zukunft setzen.
  • Gemeinschaften suchen und diese stärken.
  • Eigene Identität der Klasse aufbauen: eigenes Emblem, Slogan, Lied etc., etwas, worauf die Kinder stolz sein können.

Schnell Deutsch lernen – mit welchen Materialien und Themen?

Problem: Ziel jeder Willkommens- oder Übergangsklasse ist es, dass die Kinder schnell die Sprache erlernen und in den normalen Schulbetrieb übergehen. Nur mit welchen Materialien und bei welchen Themen fängt man an? Wie bringt man Kinder, die ihre Heimat im Krieg verlassen mussten und auf der Flucht waren, zum Sprechen? Es fehlt offensichtlich an didaktischen Konzepten und Materialien, die Kinder berühren und begeistern.

Diskutierte Lösungen

  • Für den Anfang die belastenden Themen wie Heimat und Familie ausschließen.
  • Themen suchen, die mit „Jetzt“ zu tun haben: Fußball, Spielsachen, Winter, Freundschaft
  • Ganz am Anfang Gebärdensprache nutzen, mit Symbolen arbeiten. (Vorschlag einer Sonderpädagogin, die diese Erfahrung mit Kindern in den USA machte.)
  • Spielen als beste Unterrichtform: Rollenspiele, Mannschaftsspiele, Wettbewerbe.
  • Arbeit nach Methoden von Prof. Josef Leisen: kommunikative Werkzeuge im Sprachunterricht.
  • Zusammenarbeit und Austausch mit den Fachlehren von Anfang an.
  • Nutzung der digitalen Medien im Unterricht: Wörterbücher,Videos, als Spielelement, zum Beispiel bei den Rollenspielen

Differenzierung in den Willkommens- und Übergangsklassen

Das Problem: Kinder und Jugendlichen aus den Willkommens- und Übergangsklassen sind nicht nur kulturell sehr unterschiedlich. Sie bringen sehr verschiedene Bildungserfahrungen mit. Die Spannbreite reicht von Gymnasiasten, die mit perfektem Englisch kommen, bis hin zu Gleichaltrigen, die nicht alphabetisiert sind. Die einen lernen sehr schnell und sind unterfordert, während die anderen noch an das Konzept Sprache und Alphabet herangeführt werden sollten. Wie soll man mit dieser Heterogenität arbeiten?

Diskutierte Lösungen

  • Arbeit mit Wochenplänen: LehrerInnen berichten von individuell erstellten Wochenplänen, die auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder eingehen.
  • Enge Zusammenarbeit und Austauschbereitschaft im Kollegium, um Lehrpläne zu individualisieren.
  • Arbeit mit verschiedenen Lehrwerken und zusätzlichen Materialien gleichzeitig.

Wie können wir das Internet dafür nutzen, um Best Practice-Beispiele, Inspiration und Lernmaterialien zu teilen?

Das Problem: Schulen, Pädagogen, Hochschulen sowie freiwillige Helfer haben viele offene Fragen, die vor allem situativ auftauchen und eine schnelle Lösung verlangen. Die Chance ist groß, dass sich jemand schon mit diesem Problem befasst hat: Unterrichtszenarien, Umgang mit den Schülern und Konflikten, Fachthemen etc.

Diskutierte Lösungen

  • Kurze Lernvideos, die den praktischen Umgang in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aus Flüchtlingsfamilien vermitteln. Zum Beispiel „Thema Heimat“ oder „Was mache ich, wenn ein Kind plötzlich weint?“.
  • Austausch der Unterrichtskonzepte und Materialien
  • Offene, freie Formate, die verändert und angepasst werden können
  • Nutzung von digitalen Medien bei der Differenzierung in der Klasse
  • Zusammenfassung

    Es waren die Menschen, die diese zwei Tage so besonderes machten. Menschen aus Hilfsorganisationen, Stiftungen, Verwaltung, sowie Pädagogen und Schüler (denen ein besonderer Dank an dieser Stelle!), die ihr Wissen, ihre Erfahrungen und Gedanken so großzügig miteinander teilten. Das Teilen des Wissens kann ja sehr gefährlich werden, daraus entstehen neue Ideen und Taten. Mein Wunsch: dass diese tollen Impulse nicht nur dem Papier anvertraut werden, sondern in die weiteren Handlungsschritte übergehen, die Kindern und Jugendlichen aus Flüchtlingsfamilien gute Bildungschancen in Deutschland sichern.

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