Schon wenige Minuten können für die Erkenntnis reichen, ob die Chemie stimmt. Bei unserem Design-Thinking-Workshop während des OER-Festivals in Berlin hatten Anastasia und ich sogar 45 Minuten. Unsere Mission: zu testen, ob die Innovationsmethode „Design-Thinking“ sich dafür eignet, die OER (Open Educational Resources)-Entwicklung in Deutschland voran zu treiben. Bericht eines Experiments.
OER, hier ist das Design-Thinking!
„Alice, hier ist Pudding!“ „Pudding, hier ist Alice!“ Ich muss an die Szene aus meinem Lieblingsbuch „Alice im Wunderland“ denken, während sich der Raum mit Neugierigen füllt. Viele Gesichter kenne ich aus der OER-Szene: Pädagogen, politische Aktivisten, Wissenschaftler, die sich dafür einsetzen, freie Lernmaterialien in Deutschland publik und praktizierbar zu machen. Die Resultate der Arbeitsgruppe „Mapping OER“ von Wikimedia Deutschland sind den TeilnehmerInnen unseres Workshops bestimmt bekannt: komplexe Zusammenhänge aus bildungspolitischen, wirtschaftlichen, kulturellen und rechtlichen Faktoren, die neu gedacht werden sollten, damit die OER-Vorteile in Deutschland sich entfalten. Komplexer Satz – komplexe Aufgabe.
Und nun kommt es: Komplexe Aufgaben zu lösen, ist die Spezialität von Design-Thinking! Design-Thinking ist eine Methode, die konkrete Arbeitsschritte, eine bestimmte Haltung und Werkzeuge bietet, die zu neuen, ungewöhnlichen Lösungen führen. Mehr dazu bitte hier nachlesen.
Gemeinsamkeiten zwischen OER und Design-Thinking
Auf die Idee, die beiden miteinander bekannt zu machen, kam ich während der Abschlussveranstaltung von „Mapping OER“. OER in Deutschland hat einige Baustellen, während das Design-Thinking viele Möglichkeiten aufzeichnet, neue Perspektiven zu schaffen und während der Suche nach den Lösungen an Tempo zu gewinnen. Perfect Match!
Bei Vorbereitung entdeckte ich wichtige Gemeinsamkeiten in der Haltung:
1. Nutzerzentriert
Die inneren Bedürfnisse und Wünsche der potenziellen Nutzer stehen immer im Mittelpunkt des Design-Thinking-Prozesses. Die Methode fokussiert sich darauf, ein Produkt oder einen Service zu kreieren / modifizieren, mit dem ein Problem aus der Welt geschafft oder eine Situation verbessert werden kann.
Diese nutzerzentrierte Haltung ist typisch für die Organisationen und Personen, die OER unterstützen und verbreiten.
2. Teamarbeit
Design-Thinking wird in einem interdisziplinären Team praktiziert. Dadurch wird der Entwicklungsprozess beschleunigt und werden ungewohnte Ideen generiert.
Best-Practice OER zeigt, dass eine gute Zusammenarbeit im Team ein Erfolgsfaktor ist.
3. Co-Kreation
Eine Steigerung von Teamarbeit. Nicht nur einander fachlich zu unterstützen, sondern auf den Ideen der Anderen aufzubauen, um zu besseren Ergebnissen zu gelangen.
Co-Kreation ist ein Herzstück von OER: gemeinsames Bearbeiten und Remixen der Inhalte.
4. Kritikkultur
Konstruktive Kritik verträgt sich nicht mit „Aber-Sätzen“. Statt sich auf negative Aspekte bei der Kritik zu fokussieren, wird in einem Design-Thinking-Team eine Kultur des „Weiterdenkens“ (siehe Punkt 3. „Co-Kreation“) ausgeübt: Wenn mir etwas nicht passt oder nicht logisch erscheint, dann erstelle ich einen weiteren Prototyp.
Klare Parallele zu den OER – die konventionelle Qualitätsprüfung wie bei den Verlagen funktioniert hier nur bedingt, da die Materialien nach Lernsituationen angepasst und verändert werden können. Der Begriff Qualität wird dadurch viel breiter und subjektiver.
OER-Fee
Was kann man innerhalb von 45 Minuten alles machen? Zum Beispiel sich in eine OER-Fee zu verwanden. Genau das war die Aufgabe in dem Workshop. In Partnerarbeit mussten die Teilnehmer innerhalb einer kurzen Zeit herausfinden, wie und warum der ideale OER-Service für den Interviewpartner funktionieren und was er beinhalten würde. Im nächsten Schritt ging es darum, die wichtigsten Bedürfnisse zu antizipieren, um danach einen Prototyp des idealen OER-Services für diese Person zu erstellen. Das besondere daran: eine Fee kann alles!
Schritt 1. Interview
Hier ist die Gelegenheit, mehr über Träume und Wünsche des Interviewpartners zu erfahren. Das gelingt mit offenen Fragen, Aufmerksamkeit und der Bereitschaft, nicht gleich in den Lösungen zu denken. Ziel des Interviews ist es, sich in kurzer Zeit den Bedürfnissen der ProjektpartnerInnen anzunähern und seine / ihre Handlungen und Gedanken zu verstehen.
Schritt 2. Fokus-Frage
Ergebnisse aus der Ad hoc-Recherche schnell auswerten, um die wichtigsten, versteckten Bedürfnisse des Projektpartners / der Projektpartnerin zu formulieren. Was war im Interview überraschend, welche Lücken in dem „Ist-Zustand“ aus der Perspektive des Gesprächspartners / der Gesprächspartnerin wurden entdeckt? Daraus formulieren wir einen Satz, der die Handlungen und die Bedürfnisse dieser Person umfasst. (siehe Handout)
Schritt 3. Prototyp erstellen
Es gibt verschiedene Wege, eine Idee zu erklären und zu testen. Der beste Weg ist, sie zu visualisieren und dem potenziellen Nutzer zu zeigen. Die Visualisierung kann auf verschiedene Art und Weise entstehen – als Modell, Comic, Skizze. Wichtig ist, eine Gesprächsvorlage zu haben! In der Fachsprache wird sie „rapid prototype“ genannt. Aus den vorhandenen Materialien „rapid prototype“ ine Service-Idee erstellen. (siehe Handout)
Schritt 4. Testen
Der Test ist keine Verkaufsveranstaltung, sondern die Gelegenheit, die Idee zu verbessern. Es geht darum, den Prototyp für sich selber sprechen zu lassen und das Feedback aufmerksam aufzunehmen.
45 Minuten sind schnell vorbei!
Unsere Zeit war schnell vorbei, aber die Teilnehmer hatten noch keine Lust zu gehen. Sie waren neugierig darauf, die Prototypen der Anderen anzuschauen und eigene zu zeigen. Vielleicht war es die versteckte Lust, wieder mal „Lego“ zu spielen.
Unsere OER-Feen waren sehr fleißig und haben tolle Ideen entwickelt. Einige sehen Sie untern auf den Bildern.
Fazit: Die Chemie zwischen OER und Design-Thinking stimmt. Ein längeres Date wäre schön.
Ein Kommentar
Sehr interessant!