Wie könnte ein perfekter Lernort aussehen, an dem Sie und Ihre SchülerInnen kreativ und motiviert lernen können? Diese Fragen stellten wir den TeilnehmerInnen des Design-Thinking-Workshops am 18. April und forderten sie auf, ihre Visionen zu visualisieren.
Raum als dritter Pädagoge
Für Viele ist die typische Raumstruktur im Klassenzimmer (vorne die Tafel, stapelbare Tische und Stühle, grelle Beleuchtung) sowie die Gebäudearchitektur (lange Flure mit rechteckigen Räumen) so selbstverständlich, dass sie kaum hinterfragt werden. Während in der Grundschule mindestens einige Leseecken und Gruppeninseln vorzufinden sind, ist die Raumgestaltung an den weiterführenden Schulen ganz der Funktionalität gewidmet.
Dabei ist die Wirkung der Lernumgebung auf die Stimmung und Aufnahmebereitschaft der SchülerInnen groß. Die holistische Untersuchung des Professors Peter Barret der University of Salford in Manchester zeigt, dass eine positiv veränderte Struktur und Raumgestaltung eine gravierende Lernverbesserung hervorruft. Professor Barret beobachtete innerhalb eines Jahres systematisch 34 Schulklassen in verschiedenen Altersgruppen. Dabei veränderte er Lichtverhältnisse, Lautstärke, Farbkomposition, Raumtemperatur, Luftqualität und Möbelelemente. Die Studie verweist auf direkte Verbindungen zwischen den schulischen Leistungen und den Räumlichkeiten, in denen gelernt wird.
Design-Thinking-Workshop – von der Frage zum Prototyp
Nach einer kurze Einführung in die Design-Thinking–Methode der Innovationsentwicklung (hier die kurze Einführung), sind wir gleich in die Gruppenarbeit eingestiegen. Jeder Gruppe (aus vier bis sechs TeilnehmerInnen) stand ein Design-Thinking-Coach zu Seite. Eine vielversprechende Mischung der Teams garantierte interessante Diskussionen und Entdeckungen: Pädagogen, Mitarbeiter der Stiftungen mit dem Schwerpunkt auf Wissenstransfer, Journalisten, Start-Ups und Schüler.
Research
Wir starteten mit den Fragen. Fragen, die uns halfen, die Wünsche und Probleme der Anderen zu verstehen. Die Teilnehmer interviewten sich gegenseitig, um den Einfluss des Raums auf das Lernen bei den anderen Teilnehmen zu erfragen und mit den eigenen Erfahrungen zu vergleichen. Als Hilfe haben wir offene Fragen formuliert, die das „Geschichtenerzählen“ provozieren:
- Wo fühlst du dich wohl und warum dort? – Welche Räume motivieren dich?
- Was ist für dich wichtig beim Lernen oder beim Lehren?
- Kannst du von Situationen berichten, in denen es besonders viel Spaß gemacht hat, etwas zu erlernen?
Die Antworten zeigten, dass Raumelemente und Raumgestaltung ein wichtiger Teil der individuellen Lernstrategie sind. Ein Bild an der Wand, das zu Konzentration verhilft, die Möglichkeit aufrecht zu stehen und eigene Gedanken zu visualisieren, ein Schaukelstuhl, in dem man besonderes gut lesen kann … Hier nur ein paar Beispiele aus meinen Gesprächen.
Fokus finden
Die Interview-Notizen haben die Teams zusammengeführt und gemeinsam sortiert. Es ging darum, für die Teams einen Fokus für die eigene Arbeit im Workshop zu finden. Dieser Prozess verlief in zwei Etappen. Als Erstes haben wir die Interview-Resultate nach folgenden Kriterien geclustert: negativ, positiv, störend, aufbauend. Interessant sind für das Design-Thinking nicht nur die Überschneidungen, sondern auch die extremen Ideen, zum Beispiel das Lernen mit der Bewegung. Diese extremen Ideen helfen, die eigene Vorstellungskraft zu erweitern und innovatives Denken zuzulassen.
Im nächsten Schritt haben die Teams ihre Kriterien gleich erweitert und sich gefragt, welche der Kriterien helfen, das Lernen als eine Reise zu erfahren, forschendes Lernen zu etablieren oder das Lernen als Spiel zu sehen?
Ideation
In dieser Phase haben die Teams angefangen, Ideen zu entwickeln. Beim Design-Thinking geht es nicht darum, gleich eine perfekte Lösung zu finden, sondern möglichst viele verschiedene Ansätze zu entwickeln. Wir haben die Teams ermutigt, auch wilde, ungewöhnliche Ideen zuzulassen. Um den Prozess der Ideenfindung zu forcieren, machten die Teams von verschiedenen Kreativitätstechniken Gebrauch. Ein Team hat sich vorgestellt, was wäre, wenn verschiedene Superhelden eine Schule aufmachen würden? Die anderen, was wäre wenn das Geld beim Bau einer Schule keine Rolle spielen würde?
Prototyp
Die Entscheidung, welche Ideen in einem Prototyp visualisiert werden, ist im Team gefallen. Ein schneller, improvisierter Prototyp ist eine große Hilfe, wenn es darum geht, eine Idee durchzudenken und zu vermitteln. Die Teams waren aufgefordert, ihre Vision eines perfekten Lernortes mit Lego, Playmobil, Papier, Pfeifenreiniger, Schuhkartons und weitere Bastelmaterialien sichtbar zu machen.
Präsentation
Am Ende hat jedes Team seinen Prototyp kurz präsentiert und erklärt. In der Präsentation nutzten die Teams die Kraft des Storytelling, um die Zuschauer in den was wäre wenn– Modus zu versetzen. Wir konnten in verschiedene Konzepte und Situationen eintauchen und diese hautnah erleben. Dafür gab es einen riesigen Applaus!
Visionen
Alle fünf Prototypen aus dem Workshop sind sehr eigenständig geworden. Die Überschneidungen zeigen deutlich, was Pädagogen und Kinder von einem Raum, außer Ruhe und guter Luft, erwarten:
- Schule soll ein Ort werden, an dem Kinder und Jugendliche verschiedene praxisbezogene Themen entdecken und erforschen können. Es gelingt am besten in den Räumen, die das forschende Lernen unterstützen – die einen Werkstatt- oder Labor-Charakter haben.
- Selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Lernen braucht eine eigene Organisation der Prozesse und der Räume. Kinder suchen nach Möglichkeiten, solche Räume zu definieren, zu bestimmen und sich temporär zu eigen zu machen. Als Ort, an den man immer wieder im Team oder alleine zurück kommt.
- In mehren Prototypen waren starke Kontraste zwischen den Räumen zu sehen: Verschiedene Landschaften (Wasser, Berge, Großstadt, Wald) trafen aufeinander. Transparente, von Licht durchflutete offene Räume folgten gemütlichen Versteckecken, die zum Nachdenken und Ausruhen einluden.
- Kinder als aktive Gestalter – das Kinder-Team hat in seinem Prototyp zur Voraussetzung gemacht, dass Kinder die Lernräume selber gestalten dürfen. Für sie war dies die Grundvoraussetzung eines respektvollen Umgangs miteinander.
- Die Schulen in den Prototypen sind lebendige Räume mit toller Vernetzung geworden. Räume, in denen Catwoman und Spiderman ein und aus gehen und die Fenster und Dächer für neue Ideen weit offen stehen.
Die Visionen der Kinder und der Erwachsenen zeigen deutlich, dass eine neue Lernstruktur auch eine neue Lernumgebung braucht, die bewusst mit den alten Unterrichtsmodellen bricht und sowohl die Schüler als auch die Lehrer zu neuen Kommunikationsformen verleitet.
Fazit
In kreativen vier Stunden ist es den TeilnehmerInnen gelungen, die Design-Thinking-Grundlagen direkt anzuwenden. Design-Thinking bittet eine tolle Struktur, um bildungsrelevante Fragen zu untersuchen und Antworten zu finden. Begeistert hat mich die Bereitschaft der Teams, sich auf Neues einzulassen, Ideen zu teilen und das Spiel als ernsthafte Beschäftigung anzusehen.
„Wann“, fragte am Ende die zwölfjährige Antonia, „können wir unsere Ideen umsetzen?“. Denn für den perfekten Lernort, der Raum der uns inspiriert, einlädt und beim Lernen hilft, haben wir in kurzer Zeit viele tolle Ideen geniert, wovon einige tatsächlich mit wenig Aufwand realisiert werden könnten.
Dieser Workshop entstand in Zusammenarbeit mit Michael Busch, Lehrer und Beauftragter für Medien an der Stadtteilschule Am Heidberg in Hamburg, Initiator des Symposiums Richtungsweiser Bildung, und in Kooperation mit der Stiftung Bildung.
Vielen Dank an dieser Stelle an unsere Design Thinking-Unterstützer: Jo Graff und Michael Schriber von Kill your darling und Jannis Hegenwald, danke auch an Ulf Hücker für die tollen Bilder.